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Fachartikel
22.8.2023

Interview: Dr. Henning Schuster, E-Bridge Consulting - Flexibilisierung der Stromnetze durch die Integration von Speichern

Lesedauer:
4 min

Der Transformationsprozess im Rahmen der Energiewende führt zu steigendem Flexibilitätsbedarf im Energiesystem. Speichertechnologien nehmen hierbei eine zunehmend zentralere Rolle ein. Dabei ist vor allem die Integration in die Verteilnetze ein Schlüsselthema. Sie haben sich intensiv mit Verteilnetzen und dessen zukünftiger Entwicklung beschäftigt: Welche Relevanz haben Speicher in den kurzfristigen Prozessen und in den Langfristplänen der Netzbetreiber? Und wie bewerten Sie dies?

Die Verteilnetze in Deutschland sehen sich einer gewaltigen Herausforderung gegenüber. Innerhalb kürzester Zeit (aus Sicht der Energieinfrastruktur) müssen bisher ungekannte Leistungen erneuerbarer Stromerzeugung ins Stromnetz integriert werden. Gleichzeitig werden zahlreiche neue Stromverbraucher wie Elektroautos und Wärmepumpen angeschlossen. Meine These lautet: Das Stromnetz wird in den kommenden Jahrzehnten den neuen Anforderungen nicht standhalten können, da die Geschwindigkeit des Netzausbaus den neuen Netzanschlüssen selbst unter idealen Voraussetzungen praktisch nicht gerecht werden kann.

Der Netzbetreiber ist daher dringend auf Flexibilität angewiesen, und hierbei stehen Speicher an erster Stelle. In vielen gemeinsamen Untersuchungen mit Netzbetreibern haben wir festgestellt, dass Speicher sowohl in kurzfristigen Prozessen zur Gewährleistung der Netzstabilität als auch in mittel- und langfristigen Netzentwicklungen erhebliche Vorteile bieten kann – vorausgesetzt, sie sind an den "richtigen Stellen" im Netz positioniert und eine Abstimmung der Fahrweise ist möglich.

Ein wichtiger, aber aufgrund prozessualer und regulatorischer Hürden noch weitgehend ungenutzter Anwendungsbereich von Batteriespeichern ist das Engpassmanagement. Gleichzeitig werden bereits Konzepte wie das Redispatch 3.0 diskutiert, in denen Netzengpässe durch KI-basierte Prognosen dezentral gelöst werden sollen. Welche Rolle sprechen Sie Speichern aktuell und zukünftig im Redispatch zu und welche Hürden müssen genommen werden, damit sie ihrer künftigen Rolle im Redispatch gerecht werden können?

Die wertvolle Flexibilität der Speicher wird noch immer in unzureichendem Maße genutzt, und dafür gibt es zwei Hauptgründe: Die Prozesse und Systeme der Netzbetreiber sind sehr unterschiedlich ausgreift und oft noch nicht so weit und der regulatorische Rahmen erlaubt die Flexibilitätsnutzung nicht in vollem Umfang. Unsere Mission bei E-Bridge besteht darin, beide Hindernisse zu überwinden, damit Speicher ihr volles Potenzial entfalten können. Letztendlich profitieren davon nicht nur die Netzbetreiber und die Betreiber der Speicher, sondern auch die Energiewende insgesamt.

Hierzu entwickeln wir innovative Lösungen gemeinsam mit Netz- und Speicherbetreiber, die es ermöglichen, die Flexibilität der Speicher auch unter den gegebenen Systembedingungen zu nutzen. Zudem unterbreiten wir konkrete Vorschläge zur Gestaltung des regulatorischen Rahmens. Allerdings müssen wir bei beiden Herausforderungen realistisch sein: Die Erfahrungen aus der Einführung von Redispatch 2.0 haben gezeigt, dass die Implementierung neuer Konzepte im Netzmanagement oft länger dauert als ursprünglich angenommen.

Häufig kommt die Frage auf, wie es um den Zustand unseres Stromsystems mit Blick auf die Versorgungssicherheit bestellt ist. Welche Herausforderungen sehen Sie insbesondere im Bereich der Netzinfrastruktur, um auch künftig eine hohe Versorgungssicherheit zu gewährleisten? Welche Rolle spielen dabei einerseits der stetig steigende Anteil Erneuerbarer Energien und die zunehmende Dezentralisierung der Stromerzeugung, und andererseits Speicher?

Der wachsende Anteil erneuerbarer Einspeisung ist für die Versorgungssicherheit weniger bedeutsam als die gleichzeitig erfolgende Abschaltung konventioneller Kraftwerke. Diese gesicherte Leistung fehlt in Deutschland, doch glücklicherweise (aus deutscher Perspektive) muss die Versorgungssicherheit im Rahmen des europäischen Verbundsystems bewertet werden. Hier bestehen noch beträchtliche Kapazitäten. Bereits jetzt tragen Speicher aber auch in Deutschland maßgeblich zur Regelleistung bei – und davon profitieren auch unsere europäischen Nachbarn.

In der Zukunft sollten Versorgungssicherheitskonzepte zunehmend dezentral betrachtet werden. Hierbei könnten Speicher eine wichtige Rolle spielen, beispielsweise im Bereich der Schwarzstart- und Inselnetzfähigkeit, indem sie regionale Beiträge liefern.

Welches ist aus Ihrer Sicht der dringendste Agendapunkt, den es zu bewältigen gilt, um die Netzintegration von Speichern bereits kurzfristig zu beschleunigen und so die Ausbauziele Deutschlands abzusichern?

Aus meiner Perspektive ist die Beschleunigung der Netzanschlüsse von Speichern derzeit von entscheidender Bedeutung. Viele Netzbetreiber sind besorgt darüber, dass Speicher, insbesondere in Regionen mit hoher erneuerbarer Einspeisung, potenziell Netzprobleme verstärken statt lösen könnten. Eine weitere wichtige Herausforderung besteht darin, dass die Leistungsänderungsgeschwindigkeit von Speichern schlicht und einfach neu ist für Netzbetreiber. Um dieser Herausforderung zu begegnen, sind kurzfristige Lösungen erforderlich, um die schnelle und effiziente Errichtung sowie den Anschluss von Speichern zu ermöglichen. Diese Speicher können nach und nach ihr volles Potenzial an Flexibilität für den Markt und das Netz entfalten – genau dort, wo sie dringend benötigt werden.

Gesprächspartner:Als Geschäftsführer von E-Bridge Consulting vereint Dr. Henning Schuster seine Leidenschaft für die Energiewende mit langjähriger Erfahrung in der Unternehmensberatung, um damit wegweisende Lösungen und zukunftsweisende Strategien für Netzbetreiber, Marktakteure, Ministerien und Behörden zu gestalten. Sein Ansatz basiert auf einem umfassenden Verständnis technischer, wirtschaftlicher und regulatorischer Aspekte – ein Fundament, das er auch durch seine Promotion in Elektrotechnik mit Schwerpunkt Netzplanung und Netzbetrieb an der RWTH Aachen gelegt hat. Gemeinsam mit seinem Team bei E-Bridge Consulting setzt ich sich leidenschaftlich dafür ein, die Energiewende effizient und erfolgreich zu gestalten.

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